Ausgerechnet an seinem Geburtstag, einem strahlend schönen Junisonntag, wurde Elvin Chan über sein Dienstfunktelefon zu dem ersten Todesopfer seiner jungen Karriere gerufen. Vor Wochen erst hatte er sich für den höheren Polizeidienst qualifiziert und war Hauptkommissar Pranzinger als Assistent zugeteilt worden, der im Berchtesgadener Land mit dem gebotenen Ernst die intelligentere Verbrechensbekämpfung repräsentierte. Elvin Chans „Migrationshintergrund“, wie die Kollegen sich in pseudoneutraler Amtssprache ausdrückten, hatte aus dem kaffeeseligen Kommissariat IV über Nacht ein multikulturelles Team gemacht. Zwischen koreanischem Kimchie und oberbayerischem Datschi liegen, ungeachtet aller klanglichen Entsprechungen, allerdings Abgründe … mindestens so tief wie der Unfallort, an den sich Chan nun unter Zurücklassung eines aus Korea gesandten Geburtstagspaketes unverzüglich zu begeben hatte: Die Weißbachklamm zwischen Weißbach und Schneizlreuth ist ein beliebtes Wanderziel, das allerdings Trittsicherheit und Schwindelfreiheit voraussetzt. Daran hatte es Natascha Nördlinger, dem 44-jährigen, vollschlanken Unfallopfer wohl gefehlt, berichtete der Streifenpolizist am Telefon, der die Bergungsarbeiten von Feuerwehr und Bergwacht koordinierte.
Sherlock Holmes reiste mit Dr. Watson in der Kutsche, Simenons Kommissar Maigret wurde stets chauffiert; danach kamen die Selbstfahrer. Chans Vorbild war James Bond, der seine edlen Dienstfahrzeuge schonungslos zur Verbrechensbekämpfung einsetzte. Chan träumte von einem Ferrari, seit er denken konnte. Doch nun stieg er in einen dunklen BMW mit Dieselmotor, um sich zur Routineüberprüfung an den Unfallort zu begeben – wie bei tödlichem Ausgang vorgeschrieben war.