„Er war jetzt bald fünfzig – und schon jetzt erging es ihm wie seiner Muttter, die fast dreißig Jahre älter war; nahmen das Gefühl der Leere und unabweisbarer Vergänglichkeit zu – ringsum und in ihm selber. Die Triumphe und die Affären, die er genossen hatte, die Niederlagen und Demütigungen, die er hatte einstecken müssen – all das war – verweht. Inzwischen war er – darin den Freunden gleich – eine Karikatur seiner selbst, seiner Wünsche und Hoffnungen, zynisch und misstrauisch gegen sich; korrumpiert von der Tatsache, daß er sich mit der Wirklichkeit ausgesöhnt hatte – mit den Bedingungen, die sie ihm auferlegte. Wovon und wofür er inzwischen lebte – von den Launen des Marktes und des Zwischenhandels – das stand in krassem Gegensatz zu den Träumen seiner Jugend – zum Traum, seine Talente zu nutzen, in verräucherten Bars Chansons zu singen und bis in den Nachmittag hinein zu schlafen – in der Gewissheit, dass die täglich abgelieferten acht Stunden Arbeit und die damit verbundene Auslegung der Welt falsch waren. Die Jugend hatte er mit Dagegensein vergeudet. In seinen Dreißigern musste alles, was den Einsatz lohnte, von pfäffischem Glauben geadelt sein: dem an eine höherwertige Idee, an Gerechtigkeit, an eine gute, die Meschnheit voranbringende Sache – beifällig abgenickt von der Troika älterer, wetterbeständiger Herren und dem egalitären Hunger derjenigen, die unversöhnlich über die Einhaltung der Glaubensartikel wachten. Da war er schon auf dem falschen Weg gewesen. Und heute verteilte er mit schlauer Hand Bollywood-Produktionen über den Globus, so wie andere Autos verteilten, Blumendünger oder Zeitersparnis – von keiner anderen Vision beseelt als davon, morgen mehr als heute zu verkaufen. Das war pragmatisch, vielleicht sogar rechtschaffen, aber vor allem wirkte es daran mit, immer noch mehr nutzlose Dinge zwischen die Menschen zu schieben, zwischen sie und ihr Leben. Außer Zweifel stand: Was nicht die Dauer bestätigte, die in einem einzigen erfüllten Moment liegen konnte, war Betrug.“
Unkommentiertes, wörtliches Zitat aus Thomas Palzers Roman „Ruin“, (C) Verlag Blumenbar, 2005