Es war einmal ein König, dem wurden drei Kinder geboren. Eines war klug und kräftig, eines war fleißig und ausdauernd. Das jüngste aber war ein Mädchen, das von allen guten Gaben der Eltern nur die besten in sich vereinte: Das war Prinzessin Herzeleide, schlank und zierlich, empfindsam und widerstandsfähig, höflich und ehrlich. Als sie erwachsen wurde, galt sie mit ihren dunklen Locken, ihrer alabasterfarbenen Haut und ihrer anmutigen Gestalt schon bald als das schönste Mädchen weit und breit. Der alte König hatte sie besonders in sein Herz geschlossen. Nun musste er nicht viel tun, um die klügsten und stattlichsten Jünglinge des Reiches an seinem Hof zu versammeln, die um sie werben wollten.
Ein edler Prinz hatte es ihr besonders angetan. Mit seinem nordischen Namen, seiner hünenhaften Gestalt und seinen blonden Haaren stach er aus der Menge der Freier heraus und mit seinem Mut, seiner offenen Art und seinem Stolz gewann er ihr Herz. Schon bald wurde Verlobung gehalten und ein prächtiges Hochzeitsfest ausgerichtet, denn jeder im Reich sollte an der Freude des alten Königs teilhaben und das junge Paar bewundern.
Herzeleide war eine Braut, wie man seit langer Zeit keine mehr gesehen hatte: Dank der Eleganz und Grazie ihrer Mutter kam sie den Elfen und Feen gleich, durch Bodenständigkeit, Geisteshaltung und Witz ihres Vaters wäre sie eine würdige Königin gewesen. Am Hochzeitsabend wollte jeder bei Hofe ihr persönlich seine besten Gaben und Wünsche darbringen. Herzeleide war überglücklich und sah einer wunderbaren Zukunft entgegen. Nur einmal im Verlauf des rauschenden Festes änderte sich ihre Stimmung, als eine weißhaarige, runzlige Burgfrau aus einem Seitenturm ihr die Huldigung entgegenbrachte. Mit ihren schwarzen, stechenden Augen bannte sie Herzeleide zu Stille und Besinnung, bevor sie sprach: „Den Du liebst, den fessle Nacht für Nacht. Der aber gebunden ist, den versuche nicht zu befreien. So wirst Du Deinen Namen gefahrlos tragen.“
Bald nach der Hochzeit zog Herzeleide mit ihrem Prinzen auf sein Schloss und begann ein glückliches Familienleben. Ebenso wie sie zog der Prinz Freunde und Wohlstand nur so an und es fehlte ihnen an nichts mehr zu ihrem Glück, als ihnen der erste Sohn geboren wurde. Jahre vergingen und die Prinzessin brachte ein Mädchen zur Welt. Sie führte den Haushalt, sie zog die Kinder auf, sie ließ ihre findigen Hände an vielen Stellen Gutes tun und überall ward sie geliebt. Des nachts im Bett aber war sie rechtschaffen müde – den Satz von der Alten hatte sie nie richtig bedacht: In Fesseln legen wollte sie niemanden, schon garnicht ihren Prinzen. Wenn der nicht in Freiheit bei ihr bliebe und immer wieder zu ihr fände, so wäre er ihrer eben nicht wert!
Und eines Morgens erwachte sie in ihrem hellblauen Himmelbett allein. Zum Frühstück, zum Mittagessen, selbst zur Nacht wollte sich ihr Mann nicht mehr zeigen. Als er schließlich wiederkehrte, von einer anderen zerzaust und von Reue zerknirscht – da schickte sie ihn zurück in die Freiheit, die er sich genommen hatte. Insgeheim weinte sie bitterlich, hütete sich jedoch, ihre Kinder etwas merken zu lassen. Sie nahm kaum Speisen zu sich und man hörte sie kaum noch lachen. Sie richtete sich auf ein pflichtbewusstes und entsagungsreiches Leben ein, das sie der Kinder wegen allein verbringen wollte: Niemand sollte das Andenken des Prinzen jemals trüben.
Bis sie eines schönen Tages einen entfernten Verwandten besuchte, der mit seiner Familie eine einsam entrückte Burg bewohnte. Glückliche Kinder umsprangen ihre Füße und glückliche Eheleute warteten ihr auf. Jedoch das Glück entpuppte sich schon bald als hohl und leer. Es war der Graf, der an einsamen Orte ihr sein Herz ausschüttete und sie als Seelenverwandte um Trost und Rat anging: Alles, alles hatte er erreicht und wie sein Weib alle Pflichten tapfer erfüllt. Doch die Liebe war ein flüchtiger Gast gewesen und hatte sie schon bald verlassen. Zu Tränen gerührt glaubte die Prinzessin ihr eigenes Schicksal zu erkennen und entbrannte in glühender Liebe. Doch so sehr der Graf ihrer Liebe bedurfte und sie noch heftiger zu erwidern versprach – sein Leben ändern wollte er nicht. Denn je mehr Herzeleide sich nach ihm verzehrte, desto bequemer wurde ihm sein Los: Von der Quelle einer solchen Liebe gelabt, verdurstete er in der trockensten Ehe nicht!
Die Prinzessin wollte Glück, das sie für sich selbst ersehnte, einer anderen nicht nehmen. Doch von ihrer Liebe konnte sie auch nicht mehr lassen. Nur das größere Leid um des Grafen Willen gab dem Verlust des Prinzen einen Sinn. So tat sich mit der Zeit unter ihrem Herzen eine klaffende Wunde auf und immer, wenn sie des Prinzen oder des Grafen gedachte, vergoss sie ihr kostbares Blut. Allmählich wurde sie blass und immer blasser und langsam gingen ihr die Kräfte aus. Und wenn sie nicht gestorben ist dann … liebt sie heut nicht mehr.